Mein Werdegang zur Sprecherin

EINE KINDHEIT VOLLER STIMMEN

„Oh, isch des Kloine erkälded?“ war wohl eine der häufigsten Fragen, mit denen ich und meine Eltern während meiner Kindheit konfrontiert wurden. Und nein, ich war nicht erkältet – ich hatte einfach nur eine ungewöhnlich tiefe Stimme als kleines Mädchen. Wahrscheinlich war diese unangenehme Frage jedoch der Auslöser dafür, dass ich auf die Wirkung der menschlichen Stimme aufmerksam wurde und eine besondere Sensorik für ihre unterschiedlichen Charakteristika entwickelte. Voller Neugier imitierte ich daher zahlreiche Charaktere aus meinen geliebten Bibi-Blocksberg-Kassetten und entdeckte, dass mir das Nachahmen richtig Spaß machte! Und als ich dann noch die rote Taste an meinem Kassettenrecorder entdeckte, gab es für mich kein Halten mehr: Ich nahm eigene Werbespots auf, übte mich im schwäbischen Dialekt meiner Heimat, imitierte voller Inbrunst die großen Musiker der 80er Jahre und erschuf meine eigene kleine Radiosendung, in der ich in investigativen Interviews meinen Geschwistern die dunkelsten Geheimnisse entlockte. Ebenso fand ich Gefallen daran, den Fernseher stumm zu schalten und Filmszenen, live und spontan, durch eine Neusynchronisation überraschend anders verlaufen zu lassen. Meine Fans waren begeistert! Also … meine Eltern und meine drei Geschwister.

MEINE ERSTE GROSSE LIEBE UND DAS RADIO

Meine Jugend in den 90ern war geprägt von Filmen, Fernsehserien, Radio und Musik. Ebenso frönte ich ausgiebig meiner Leidenschaft für Computer- und Konsolenspiele, ein widerspenstiges Hobby, das wie ein Kaugummi bis heute an mir klebt. Schmeckt halt immer noch. Bei all diesem Medienkonsum, der mir angeblich nicht geschadet hat, fielen mir immer wieder Stimmen auf, die mich besonders ansprachen, mich regelrecht berührten. Doch das prägendste Ereignis fand statt, als die Serie Akte X im Fernsehen anlief: Ich war auf einen Schlag nicht nur süchtig sondern auch bis über beide Ohren verliebt – in die deutsche Synchronstimme von Agentin Dana Scully. Bis heute ist die Stimme von Franziska Pigulla für mich purer Genuss und ein großes Vorbild. Ich war sogar derart inspiriert, dass ich es wagte meine erste Demo-Kassette aufzunehmen und dreist zu verschicken! Peinlich nur: Auf dem Sprechermarkt waren moderne CDs gefragt. Also ließ ich die Kassette unauffällig verschwinden. Dennoch öffnete sich an anderer Stelle eine Tür und ich betrat zum ersten Mal einen echten Radiosender, das Freie Radio Wüste Welle. Umgeben von bunt kostümierten Punkern nahm ich hier an einem Workshop teil, lernte den Arbeitsalltag von echten und unechten Redakteuren kennen und durfte am Ende sogar eine zwanzigminütige Live-Sendung mit Musikeinlagen moderieren – für mich ein echtes Sommer-Highlight.

STUDIENJAHRE IN DER MEDIENWELT

Die Welt der Medien ließ mich einfach nicht los. So floh ich aus dem Schwabenländle, fuhr hunderte Kilometer in den Norden und stieß selbstbewusst die Pforten der The German Film School in Brandenburg auf, um in übertrieben elitärer Runde Digital Art zu studieren. Was sollte man auch sonst im kargen Brandenburg tun? Mit einer Armee von Bleistiften zeichnete ich ambitionierte 2D-Kurzfilme und klickte mich wütend durch die ersten 3D-Programme. Und galt es dann einen fertigen Kurzfilm zu synchronisieren, schrie ich sofort ja – manchmal sogar auf Englisch. Und auch hier merkte ich wieder, wie viel Spaß mir das Sprechen machte. Leider schloss die Privathochschule unerwartet ihre Türen, sodass ich meinen Blick zur Weltstadt Berlin erhob. Hier wollte ich zügig zur Berliner Technischen Kunsthochschule wechseln. Allerdings war bis zum Beginn des Semesters noch etwas Zeit – und da kam mir eine verwegene Idee: Kurzerhand meldete ich mich für die Ausbildung zur Studiosprecherin bei International-Voice in Berlin an. Hier konnte ich zum ersten Mal Profis über die Schulter schauen, von ihnen lernen, sie anfassen, mich mit praktischem Handwerkszeug rüsten und mich selbst in verschiedenen Genres als Sprecherin erproben. Plus: Ich hatte meinen ersten offiziellen Stempel auf der Stirn! Und auch im anschließenden Studiengang Visual- & Motiondesign ließ ich es mir nicht nehmen, immer wieder meine Stimme zum Einsatz zu bringen, um die produzierten Hörspiele, Werbespots und Audio Guides zum Leben zu erwecken. Selbst in meiner Abschlussarbeit „Sprachcharakter und Charaktersprache“ widmete ich mich wie von selbst dem Thema Stimme und Ausdruck.

VOM SCHREIBEN ZUM SPRECHEN

Doch trotz meiner Leidenschaft für das Sprechen kam es mir irgendwie nicht in den Sinn, diese Tätigkeit als eine echte berufliche Möglichkeit zu betrachten. Schon merkwürdig. So kam es also, dass ich mich nach dem Studium erst einmal als Designerin und auch als Texterin bewarb. Denn auch das Schreiben war seit frühester Kindheit ein Steckenpferd von mir. Ich schrieb schon mit zehn Jahren für die Schülerzeitung, war später Chefredakteurin, verfasste während dem ersten Studium Drehbücher, beim zweiten Studium Projekt-Artikel und übte mich in meiner Freizeit in Prosa, Lyrik und Dramaturgie. Und wie es der Zufall wollte, landete ich so direkt nach dem Studium in einem Berliner Entwicklerstudio für Computerspiele, um dort als Autorin tätig zu sein. Und das war sogar ziemlich cool: Denn bei den Noumena Studios konnte ich als Game Writer das Texten mit meiner Spielesucht fusionieren! Gemeinsam mit zwei weiteren Autoren verfasste ich hier sämtlichen Textinhalt für das Action-Rollenspiel „Das Schwarze Auge – Demonicon“, das am Ende sogar den Deutschen Entwicklerpreis erhielt! Die logische Schlussfolgerung: Man brauchte nun keine Autoren mehr. Wieso auch. Ich tippte noch an so einige Türen und schließlich mir selbst auf die Schulter: Warum nicht einfach das machen, was du schon immer tun wolltest? Gesagt, getan. Anfang 2015 absolvierte ich meine zweite professionelle Ausbildung – Das große Sprecher-Seminar national bei der Coaching Company in Berlin – und stellte damit meine neue Existenz auf einen soliden Sockel. Mein Schicksal war besiegelt.

UND HEUTE?

Nun bin ich schon eine ganze Weile als Sprecherin unterwegs, erst wandelte ich fünf Jahre durch die bunten Straßen Berlins und seit Herbst 2020 sende ich meine Stimme aus dem adretten Franken hinaus in die Welt. Mittlerweile umfasst mein Erfahrungsschatz diverse Genres, wie Hörbuch, Synchronisation, Werbung, Imagefilme, Erklärvideos und einiges mehr. Und ich freue mich nach wie vor über jedes neue Projekt und jede neue Herausforderung. Denn es ist vor allem meine Neugier, die mich voran treibt und meine Kreativität, die mich beflügelt. Da kann ich gar nichts dagegen tun. Das Wichtigste aber für mich ist: Ich möchte die Menschen da draußen mit meiner Stimme erfreuen, ihnen ein Lächeln auf die Lippen zaubern, ja vielleicht sogar mit meiner Begeisterung für die zahlreichen Facetten des stimmlichen Ausdrucks anstecken! Denn jedes Mal, wenn ich beim Bäcker mit ungewöhnlichem Dialekt mein Gebäck fordere und in überraschte Augen schaue, weiß ich: Das Sprechen ist und bleibt meine wahre Leidenschaft. So wie Schokobananen.